PANIKATTACKE! –
DAS ENDE DES GRAUENS
Herzrasen, Atemnot, Übelkeit und das Gefühl vollständig die Kontrolle zu verlieren – das ist das Gesicht einer Panikattacke. Die Folge: Teilweiser oder völliger Rückzug aus dem „normalen“ Leben, weil dieses entsetzliche Erlebnis sich jederzeit wiederholen könnte. Auch wenn Sie es nicht glauben: Es gibt einen Ausweg aus dem Teufelskreis von körperlichen Symptomen, seelischer Qual und Depression.
Es war ein Tag wie jeder andere. Ich verbrachte einen Urlaub mit Freunden und war an diesem Abend „Miss Wörthersee“ geworden. Ich freute mich darüber, lag ich im Dunklen und wartete auf den Schlaf. Von einer Sekunde auf die andere hatte ich das Gefühl, als ob eine Faust vom Magen durch den Kopf schießt, Hände und Füße waren eiskalt und mir war totenübel. Ich versuchte mich aufzusetzen, war aber nicht dazu imstande. Ich weiß noch, wie ich verzweifelt nach Luft rang und dachte: „Mein Gott – ich sterbe“. Und dann schrie ich. Aus Furcht und unglaublichem Entsetzen, was da mit mir geschah. Dieses Ereignis war der Anfang eines langen Leidensweges. Ich fühlte mich ausgestoßen von der Welt der anderen, hatte furchtbare Angst verrückt zu werden und schämte mich entsetzlich. Erst Jahre später gab es für diesen Vorfall, der sich von da an häufig wiederholte, einen Namen: Panikattacke. Wenn ich zurückblicke, würde ich sagen, dass ich zwei Drittel meines Lebens mehr oder weniger stark daran gelitten habe. Manchmal verlor ich jede Hoffnung, dass sich an dieser Schreckensspirale von Angst und körperlichen Symptomen je etwas ändern würde. Oft war ich so verzweifelt, dass ich nur noch sterben wollte. Das unlösbare Problem dabei war, dass ich mich nicht nur vor dem Leben, sondern auch vor dem Tod ängstigte. Heute bin ich Psychologin und helfe Betroffenen mit diesem rätselhaften Phänomen umzugehen. Und schon lange fühle ich mich nicht mehr als Versager, sondern bin stolz, dass ich trotz der massiven Beeinträchtigungen immer weitergemacht habe.
Was ist eine Panikattacke? Grundsätzlich stellt dieses traumatische Erlebnis eine mögliche Art dar, auf Belastung zu reagieren. Der Zustand tritt meist plötzlich auf und kann Minuten bis Stunden dauern. Er ist von heftigen Angstempfindungen und starken körperlichen Beschwerden begleitet. Die Symptome sind: Herzrasen, Druck in der Brust, Würgegefühl im Hals, allgemeiner Schwäche, ein komisches Gefühl im Bauch, Angst in Ohnmacht zu fallen, Zittern, Übelkeit, Durchfall, Schwindel, Prickeln in Händen und Füssen, Unfähigkeit, sich aufrecht zu halten oder weiterzugehen, und im extremen Fall ein absolutes Vernichtungsgefühl.
Die Attacke tritt entweder nur an einem bestimmten Ort – Lift, weiter Platz, Verkehrsmittel, Kino, Restaurant, Autobahn, Tunnel, Kaufhaus, Supermarkt – oder in bestimmten Situationen – Alleinsein, Konflikte, Überforderung – auf. Oder an jedem Ort und zu jeder Zeit. Und das ist besonders bedrohlich, weil es dadurch so etwas wie „Sicherheit“ nicht mehr gibt. Die meisten Betroffenen schaffen sich deshalb ein Netz von Bedingungen, unter denen sie irgendwie existieren können. Ein bestimmter Mensch muss ständig da oder zumindest abrufbereit sein, außerhäusliche Aktivitäten sind nur in Begleitung möglich, „gefährlich“ empfundene Orte oder Unternehmungen werden völlig gemieden und es droht Medikamenten- oder Alkoholsucht. Oft geht gar nichts mehr. Der Mensch ist nicht in der Lage, seinen Beruf auszuüben, einkaufen zu gehen oder Freunde zu treffen. Termine zu fixieren, wird zur Qual, weil der Betroffene nie weiß, wie er sich gerade zu diesem Zeitpunkt fühlen wird. Ich erfand die unglaublichsten Ausreden, um Verabredungen abzusagen. Niemand sollte wissen, wie schlecht es mir ging. Der Radius meines Lebens wurde immer enger und endete schließlich für fast ein Jahr an der Wohnungstür. Nicht bei jedem ist der Verlauf dermaßen dramatisch. Manche sind in der Lage, ein relativ normales Leben zu führen, meiden aber bestimmte Situationen oder machen sich durch ständige Sorge das Leben schwer. „Was wird sein, wenn …“ wird ein wichtiger Gedanke. Viele leiden wegen der immensen inneren Anspannung an heftigen Muskelverspannungen, Schlafstörungen, Verdauungsproblemen, verkrampftem Solarplexus oder fühlen sich einfach ständig schlecht. Nach der bisher umfangreichsten Studie zu diesem Thema erlebt jeder Vierte in seinem Leben eine Angststörung, womit dieses Erscheinungsbild als die am häufigsten psychische Problematik gilt.
Welche Vorgänge spielen sich während einer Attacke im Körper ab? Dr. Hans Morschinsky, Psychotherapeut aus Linz, hat sich auf die Behandlung von Panikstörungen spezialisiert: „Eigentlich ist ein Angstanfall nichts anderes als ein erhöhter Ausstoß von Adrenalin, der die zahlreichen körperlichen Symptome bewirkt. Durch die leichtere Erregbarkeit der Gehirnzentren, die unsere Gefühle steuern, kommt der Betroffene schneller aus dem Gleichgewicht als andere.“ Die amerikanische Therapeutin Shirley Trickett schreibt in ihrem Buch „Angstzustände und Panikattacken erfolgreich meistern“: „Allein der Ausdruck Panikattacke löst schon Angst aus. Es ist für die Empfindsamkeit der Patienten viel weniger bedrohlich den Vorgang als „Adrenalinwelle“ zu bezeichnen.“ Was sind die Ursachen dieses Phänomens? Meist konnte in der Kindheit kein Urvertrauen gebildet werden. Gründe dafür sind: Misshandlung, Missbrauch, Vernachlässigung, Trennung, Alkoholismus, Familiengeheimnisse oder ein liebloses Klima. Im späteren Leben können auch Überforderungssituationen in Beziehung und Beruf, oder nach Unfällen, Operationen und Schwangerschaften Angstanfälle auslösen.
Wie werden Panikattacken behandelt? Sinnvoll ist eine Psychotherapie oder andere Therapieformen, die helfen, mehr Selbstbewusstsein zu erlangen. Es ist dann leichter, Lösungen für belastende Lebenssituationen zu finden und man muss nicht auf die Adrenalinwelle „ausweichen“. Entsprechende Medikamente sind als zusätzliche (!) Maßnahme dann zu empfehlen, wenn das Leben nur noch aus Angst besteht. In leichteren Fällen, oder wenn jemand große Furcht vor Tabletten hat, bietet auch die sanfte Medizin Behandlungsmöglichkeiten. Dr. Stefanie Sulzgruber hat eine Praxis für chinesisches Medizin in Wien: „Bei Panikattacken geht es darum, dass vegetative Ungleichgewicht wieder in Balance zu bringen. Sowohl bestimmte Kräuter als auch Akupunktur und Qi Gong können dabei helfen.“
Suchen Sie unbedingt einen Arzt oder Therapeuten, der außer Kompetenz auch Wärme und Verständnis vermittelt. Er oder sie wird zunächst Untersuchungen veranlassen, um körperliche Ursachen für Ihre Beschwerden auszuschließen. Sie wissen danach genau, dass Ihr wirkliches Problem Angst heißt und nicht durch ein krankes Herz oder die rätselhafte Krankheit XY verursacht wird.
Ich möchte Ihnen einige Gedankenanstöße geben, die mir und vielen anderen auf dem Weg zurück ins Leben geholfen haben:
– Heilung führt IMMER über Veränderung. Ihre langfristige Aufgabe, der Sie sich liebevoll stellen müssen, heißt – anders denken, anders reagieren und sich anders verhalten. Durch die absolut verständliche „Angst vor der Angst“ erzeugen Sie die Attacke mit und können sie daher auch beeinflussen oder verhindern. Sagen Sie sich: „Ich kann mich dafür entscheiden in entspannterer Weise auf die Dinge des Lebens zu reagieren“
-„Panikfördernde“ Eigenschaften sind Perfektionismus, zu hohe Erwartungen an sich und andere, Schuldzuweisungen und mangelnde Selbstliebe. Notieren Sie geistig: „Gut, ich habe ein paar Probleme. Deswegen bin ich nicht weniger wert. Ich darf Fehler machen und meine Mitmenschen auch.“ Zur Frage von Schuld schreibt Lucinda Bassett in ihrem großartigen Buch „Angstfrei leben“: „Wollen Sie wirklich den Rest Ihres Lebens damit verbringen, jemand anderem die Schuld zu geben, warum Sie nicht glücklich und erfolgreich sind, keine gute Beziehung führen oder Ihre Angststörung nicht überwinden können? Schuldzuweisungen sind die sicherste Art, ein Problem zu behalten.“
– Für Menschen mit Panikattacken ist das Wort „Kontrolle“ so wichtig wie die Luft zum Atmen. Tatsache ist – Sie können andere nicht kontrollieren und auch nicht das, was geschehen wird. ABER: Sie können lernen, Ihre Reaktionen zu kontrollieren.
– Sie denken sich in Ihre Angst hinein und in vielen Fällen können Sie sich auch wieder herausdenken. Als sich bei mir einmal eine Attacke ankündigte, führte ich folgenden inneren Dialog: „Liebe Angst, ich nehme zur Kenntnis, dass du da bist.
Offenbar willst du mich auf irgendetwas aufmerksam machen.
Ich glaube aber, dass ich alle deine Botschaften verstanden habe und sie so gut wie möglich umsetze. Deshalb sollten wir uns langsam voneinander verabschieden“ Solche Selbstgespräche können die Panik vermindern, sodass die Attacke nicht voll ausbricht.
– Intensivieren Sie den Kontakt mit Freunden, die Ihre Stärken fördern.
– Beschäftigen Sie sich mit aufbauender Literatur und ruhefördernden Methoden wie Meditation oder autogenem Training.
– Achten Sie auf Nahrungsmittel, die „Adrenalinwellen“ verursachen. Dazu gehören Kaffee, Tee, und alles, was Ihnen persönlich nicht bekommt (Allergietest!). Tragen Sie auch immer etwas zu essen bei sich. Ein niedriger Blutzuckerspiegel kann Attacken auslösen!
– Machen Sie Bewegung! Sogar ich mit meiner „Sport ist Mord“ Einstellung habe kapiert, dass das wichtig ist.
– Erlernen Sie Atemübungen und wenden Sie sie auch an.
– Entwickeln Sie Glaube und Vertrauen. Das kann im Rahmen einer Religion geschehen, Sie können aber auch Ihre ganz persönliche Beziehung zu Gott oder der kosmischen Kraft finden. Vertrauen bedeutet: Ein innere Wissen, dass Sie nie alleine sind und alles gut wird, unabhängig davon, wie es momentan aussieht. Ich bin der festen Überzeugung, dass Panikzustände mehr als alles andere eine spirituelle Aufgabe darstellen. Durch die dramatischen Zustände wird man quasi gezwungen, sich mit seiner Vertrauensfähigkeit auseinander zu setzen.
Es gibt kein Zaubermittel, das Sie von Ihrem Schmerz befreit. Wer die Angst besiegen will, muss sich in die Augen sehen. Lucinda Bassett: „Der einzige Weg heraus führt hinein.“ Andere können helfen, aber SIE haben den Schlüssel zur Freiheit in Ihrem Inneren. Irgendwann kommt die Zeit, in der Sie Ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen, unabhängig davon, was Sie durchgemacht haben und wie lange Sie schon an Panikattacken leiden. Wollen Sie Ihre Vergangenheit für immer als Gefängnismauer betrachten, die Sie noch heute behindert? Oder können selbst schlimme Erfahrungen die Sprosse einer Leiter sein, die Sie an die Spitze Ihrer Möglichkeiten bringt? Eines Tages werden Sie der Mensch sein, der sich selbst Sicherheit gibt. Ich weiß heute, dass ich sehr stark bin, weil ich das Grauen der tiefsten Ängste überlebt und niemals aufgegeben habe. Genau das können Sie auch.
LITERATUR:
Dr. Hans Morschinsky:
„Die zehn Gesichter der Angst“
Walterverlag, 2004
Shirley Trickett:
„Angstzustände und Panikattacken erfolgreich meistern“
Mosaikverlag, 2002
Lucinda Bassett:
„Angstfrei leben“
Beltzverlag, 2000
Ausführliche Info zu allen Aspekten des Themas:
10 TIPPS FÜR DEN AKUTFALL
– Trinken Sie kaltes Wasser oder Tee mit Honig
– Halten Sie eine Weile die Luft an
-Sagen Sie einem vertrauten Menschen, dass Sie gerade eine Attacke haben
– Bitten Sie jemanden, Ihre Hand zu halten oder Körperkontakt herzustellen
– Wenn Sie liegen, drehen Sie sich auf die Seite (entlastet den Solarplexus)
– Weinen Sie
-Suchen Sie einen Ort auf, den Sie als „sicher“ empfinden ( Wohnung, Auto …)
– Versuchen Sie, es nicht zu tragisch zu nehmen. Sagen Sie innerlich: „Aha, wieder einmal eine Attacke. Es ist schlimm, aber es geht vorbei“
– Wenn es gerade beginnt – lenken Sie sich durch ein Gespräch, Streicheln eines Tieres, Aufräumen … ab
– Nehmen Sie ein rasch wirkendes Beruhigungsmittel, das Sie schon kennen